Bereits vor einem Jahr haben wir unter dem Titel „Die nun doch vergessene Generation“ an dieser Stelle auf die schwierige Situation von jungen Wissenschaftler*innen mit und ohne Führungsverantwortung hingewiesen – insbesondere auf die ‚gravierende Unsicherheit‘, die bereits vor der Pandemie existierte, sich hierdurch jedoch noch weiter verschärft hat. Die Probleme sind damals wie heute dieselben und längst bekannt – etwa der immer noch eingeschränkte Zugang zu Hochschulinfrastruktur (wie Laboren oder Bibliotheken) oder zu Proband*innen für empirische Studien, die zeitaufwendige Digitalisierung der Lehre oder die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für Familien.
In der Zwischenzeit haben sich alle führenden Akteure in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu Wort gemeldet. Sowohl auf politischer Ebene als auch von Seiten der Fördermittelgeber wurden Maßnahmen installiert, um die Folgen der pandemiebedingten Einschränkungen im deutschen Wissenschaftssystem abzufedern. So hat etwa das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im vergangenen Jahr die rechtliche Grundlage für pandemiebedingte Vertragsverlängerungen im Rahmen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) geschaffen. Einige Bundesländer haben es dennoch versäumt, vergleichbare Möglichkeiten für Junior- und Tenure-Track-Professuren zu schaffen; lediglich in einem Teil der Bundesländer wie Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen – und jüngst auch Sachsen-Anhalt – existieren bislang derartige Sonderregelungen für Beamt*innen auf Zeit. Als größte Förderinstitution im deutschen Wissenschaftssystem räumt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) den Promovierenden in ihren Graduiertenkollegs auf Antrag eine Vertragsverlängerung um bis zu sechs Monate ein. All diese Maßnahmen helfen, können jedoch immer nur erste Schritte darstellen.
Das Ausmaß der Pandemiefolgen im deutschen Wissenschaftssystem ist weitreichender und lässt sich jetzt vermutlich noch gar nicht wirklich erfassen. Darauf hat bereits der Wissenschaftsrat (WR) hingewiesen: In seiner Stellungnahme „Impulse aus der COVID-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland“ geht es genau darum: deutlich zu machen, dass „weitere Maßnahmen“ sowie begleitende Forschung notwendig sind, um – etwa durch Internationalisierung und Chancengerechtigkeit – ungeachtet der weltweiten Krise gleichermaßen die Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems voranzutreiben wie auch individuelle „Karriereperspektiven“ zu ermöglichen (S. 39f.).
Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sieht in diesem Punkt Handlungsbedarf und warnt in ihrem Positionspapier „COVID-19-Krise: Auswirkungen auf Forschung an den Hochschulen“ vor „Karrierebrüchen“ in frühen Karrierephasen (S. 4). Die HRK zeigt sich in ihrer Stellungnahme besorgt, um die „negative[n] Rückwirkungen“, welche die Corona-Pandemie für Forschende in der Qualifizierungsphase zeitigt und sich somit auch „auf die folgende Generation“ auswirken werden (S. 3).
Es ist außerordentlich erfreulich, dass sich die Hochschulrektor*innen der Situation junger Wissenschaftler*innen annehmen. Doch bleiben die identifizierten „Schlussfolgerungen und Handlungsbedarfe“, mit denen sich die HRK sowohl an die Hochschulen als auch an Politik und Fördermittelgeber richtet, leider viel zu unkonkret.
Eine der wenigen konkreten Forderungen, die wir als Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur (DGJ) vollumfänglich unterstützen, ist, dass die HRK die Geldgeber zur „Gegenfinanzierung von Mehrbedarfen“ (ebd.) aufruft. Auch wir haben die Befürchtung, dass die Hochschulfinanzierung angesichts der – durch die Pandemie nur noch verschärften – finanziellen Situation der öffentlichen Hand eine Herausforderung darstellen wird. Mit Blick auf die sowieso begrenzten Haushalte vieler deutscher Hochschulen ist dies jedoch dringend erforderlich, um den Innovationsstandort Deutschland nicht weiter zu gefährden.
Doch wenn die HRK die Hochschulen auffordert, bestehende „Spielräume“ – etwa bei Berufungen oder Tenure-Evaluationen – zu „nutzen“ (S. 4), wird es problematisch: Im Prinzip ist das ja durchaus begrüßenswert, aber was genau soll das heißen? Um sicherzustellen, dass auch künftige Berufungsverfahren und Evaluationen nicht der Willkür der Handelnden ausgesetzt sind und so die Unsicherheit der jungen Wissenschaftler*innen noch verstärkt wird, müssten hierfür transparente und verlässliche Standards erarbeitet werden. Und auch die Landespolitik müsste ihre ‚Spielräume‘ in den Verhandlungen mit den Hochschulen nutzen, um sie zur Umsetzung der von der HRK aufgestellten Forderung zu bewegen und sicherzustellen, dass die pandemiebedingte Beeinträchtigung der Forschung entsprechend berücksichtigt wird.
Die Berechnung des akademischen Alters sollte, so die HRK, zudem Care-Arbeit adäquat reflektieren. Auf jeden Fall ist es sinnvoll und gerecht, geleistete Care-Arbeit – sowieso, aber insbesondere auch unter Corona-Bedingungen – in angemessenem Umfang wertzuschätzen und im Laufe der wissenschaftlichen Karriere bei Berufungen und Evaluationen entsprechend einfließen zu lassen. Doch braucht es auch hierfür Standards, damit einerseits sichergestellt werden kann, dass diese Zeiten wirklich angemessen Berücksichtigung finden, und andererseits – im Sinne der Gleichbehandlung – an allen Hochschulen und für alle Wissenschaftler*innen nach einem objektiven Maßstab und nicht allein nach subjektivem Augenmaß entschieden wird.
In der Tat ist es richtig und wichtig, dass die HRK in diesem Zusammenhang die Position von Wissenschaftler*innen mit Familien stärken will. Genauso wünschenswert wäre es aber auch, einen weiteren Aspekt, der unter den langanhaltenden Corona-Maßnahmen zunehmend wichtiger wird, in den Blick zu nehmen und offen über ein immer noch allzu oft tabuisiertes Thema zu reden: Mental Health in der Wissenschaft. Zu dem unter Pandemiebedingungen erschwerten Forschungsalltag kommen, wie für die gesamte Bevölkerung, wesentliche Einschränkungen des Soziallebens. Es fehlt eben nicht nur am Zugang zur Forschungsinfrastruktur oder am Austausch mit der Forschungsgruppe, sondern auch privat an sozialen Kontakten und Aktivitäten. Fehlende Freizeitgestaltung belastet nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern alle – auch leistungsorientierte Wissenschaftler*innen. Doch dieser Ausgleich ist wichtig. Es ist also elementar, der psychischen Gesundheit in der Wissenschaft – nicht nur, aber gerade in Zeiten der Pandemie – mehr Aufmerksamkeit zu widmen und von Seiten der Hochschulen und der Politik mehr Bewusstsein hierfür zu schaffen. Wissenschaftler*innen, die am Beginn ihrer akademischen Karriere stehen, müssen sich noch bewähren und sind somit besonderem Leistungsdruck und zuweilen – aufgrund ihrer (prekären) Beschäftigungssituation – beruflicher Unsicherheit ausgesetzt. Zudem wird für ihren beruflichen Werdegang die Bereitschaft zu häufigen Ortswechseln vorausgesetzt, sodass sie nicht immer auf ein stabiles soziales Netz vor Ort bauen können. Für junge Wissenschaftler*innen ist es daher umso wichtiger, dass das Thema der psychischen Gesundheit von Politik und Hochschulen stärker in den Mittelpunkt gerückt wird.
Die aufgestellten Forderungen der HRK sind ein guter Anfang. Um jedoch die identifizierten Problempunkte jetzt konkreter auszugestalten, ist es essenziell, nicht nur eine Debatte über, sondern ein Dialog mit dem sog. wissenschaftlichen ‚Nachwuchs‘ zu führen. Nur so können die angepassten rechtlichen Rahmenbedingungen und eine gestärkte finanzielle Planungssicherheit für die Hochschulen die individuellen Karriere- und Lebenssituationen von jungen Wissenschaftler*innen auch direkt verbessern.