Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass das wissenschaftliche Personal an deutschen Universitäten zu mehr als 90 % befristet beschäftigt ist, und es regt sich entsprechender Widerstand, z. B. im Rahmen der Frist-ist-Frust-Kampagne. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Befristung in der Wissenschaft gerade auf die nächste Stufe übergreift. So ist momentan das schleichende Entstehen einer neuen Qualifikationsstufe auf professoralem Niveau zu beobachten: im Gewand der befristeten W2-Professur.
Während es bisher im Wesentlichen (fast) nur die W1-Professuren als befristete Professuren gab, ändert sich das gerade entscheidend – und zwar ausgerechnet vor dem Hintergrund einer Maßnahme, die eigentlich einmal mehr dazu ansetzen sollte, die unsicheren Karrierewege für den wissenschaftlichen ‚Nachwuchs‘ früher planbar zu machen. So hat das Tenure-Track-Programm des Bundes und der Länder erstmalig systematisch die Option vorgesehen, Tenure-Track-Professuren sowohl mit W1 als auch mit W2 einsetzen zu lassen, sodass auf eine Bewährungsphase von sechs Jahren die Entfristung (und häufig eine Höherstufung auf W2 bzw. W3) folgt. Diese Möglichkeit soll eine Trendwende in Gang setzen und eine frühere Berufung ermöglichen. De facto passiert aber im Augenblick eher das Gegenteil: Mit Blick auf die Ausschreibungen zeigt sich, dass die Förderichtlinie häufig missverstanden wird. Professuren, die aus dem Tenure-Track-Programm gefördert werden, zielen nämlich auf Wissenschaftler*innen „in einer frühen Karrierephase“ – namentlich also auf eine Gruppe von Personen, die zwar u. U. an ihrer Habilitation arbeitet oder eine Juniorprofessur innehat: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer späteren Karrierephase gehören […] hingegen nicht zur Zielgruppe des Tenure-Track-Programms“. Während Bewerber*innen mit Habilitation oder abgeschlossener und positiv evaluierter Juniorprofessur zwar prinzipiell nicht aufgrund von Überqualifikation aussortiert werden dürfen, ist es umgekehrt aber unzulässig in Ausschreibungen oder internen Anforderungsprofilen der Kommissionen die Habilitation oder habilitationsäquivalente Leistungen von den Bewerber*innen zwingend zu verlangen – unabhängig davon, ob die mit Tenure Track ausgeschriebene Professur mit W1 oder W2 beginnt. Entgegen einer häufigen Interpretation sind diese Professuren, wenn sie auf W2 einsetzen, also im Sinne des Programms gerade kein Auffangbecken für die vielen bereits habilitierten Wissenschaftler*innen ohne Professur, womit die Gefahr einer ‚verlorenen Generation‘ doch nicht gebannt ist. Wenn man das Programm auf diese Weise auslegt, wird die W2-Professur zur Bewährungsprofessur nach erfolgreicher Postdoc-Phase (in welcher Form auch immer) uminterpretiert. Statt früherer beruflicher Sicherheit schließt sich also noch eine weitere sechsjährige Bewährungsphase an.
Dass ein derartig neues Verständnis der W2-Professur im Entstehen begriffen ist, lassen die vorhandenen Ausschreibungen für befristete W2-Professuren ohne Tenure Track befürchten, die in vieler Hinsicht noch heikler sind und die künftig möglicherweise auch aus Geldern des neuen (eigentlich ebenfalls für mehr Entfristung gedachten) Zukunftsvertrags finanziert werden könnten. Häufig ist dabei den Anzeigen auf den üblichen Stellenportalen gar nicht zu entnehmen, dass es sich um eine befristete Ausschreibung handelt; erst der Klick auf den Link zur ausführlichen Stellenbeschreibung macht mitunter deutlich, dass sich die Bewerber*innen hier nicht um die lang ersehnte Lebenszeitprofessur bemühen können, sondern ihnen wieder nur eine erneute Bewährungsphase in Aussicht gestellt wird, die es ihnen – so das Argument der Befürworter*innen – später erleichtert, sich in Berufungsverfahren auf entfristete W2- oder W3-Professuren gegen die Konkurrenz durchzusetzen.
Diese Argumentation ist dieselbe, die zur Verteidigung der Befristung bei wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen immer wieder angeführt wird (siehe etwa die Bayreuther Erklärung). Die Qualifikationsphase geht also in die nächste Runde: War bisher die Voraussetzung für eine Lebenszeitprofessur mit Abschluss der Habilitation oder einer erfolgreichen Postdoc-Zeit bzw. Juniorprofessur erreicht, kann sich jetzt im Prinzip an die befristete W1-Professur die befristete W2-Professur anschließen – alles mit dem Argument, die Kandidat*innen müssten ja erst unter Beweis stellen, dass sie auch wirklich ‚qualifiziert‘ seien, oder man reagiere hier nur auf einen vorübergehenden Studierendenberg, der irgendwann ‚abgearbeitet‘ sei.
Dies ist wie oben ausgeführt z. T. unzulässig (wenn mit Ausschreibungen von Professuren aus dem Tenure-Track-Programm die falsche Zielgruppe adressiert wird), immer aber für die Betroffenen fatal. Was hier als Chance verkauft wird, ist eine Mogelpackung, die das Profil der Professur, endgültig aufweicht und die Unsicherheit, die mit der akademischen Karriere verbunden ist, noch einmal verschärft. Statt die Zeit bis zur Lebenszeitprofessur zu verkürzen, wird sie im Gegenteil weiter verlängert und mehr Unsicherheit geschaffen. Legen die Universitäten für W2-Professuren aus dem Tenure-Track-Programm Listen mit Kandidat*innen aus späteren Karrierestufen vor, müssen sie damit rechnen, dass Berufungsverfahren zu einem späten Zeitpunkt scheitern. In diesem Fall blieben Professuren vielleicht jahrelang unbesetzt. Bei befristeten W2-Professuren ohne Tenure Track gibt es diese Gefahr nicht; indes wird der wissenschaftliche ‚Nachwuchs‘ natürlich auch keinesfalls früher selbstständig, sondern bleibt selbst als W2-Professor*in abhängig von den – ihrem formalen Rang und der Grundbesoldung nach z. T. gleichgestellten – Kolleg*innen auf Lebenszeitprofessuren.
Professuren zweiter Klasse, wie sie hier entstehen, bringen demnach zwangsläufig sowohl die Gefahr der Arbeitsüberlastung als auch die der Machtkonzentration mit sich, weil Professor*innen auf Zeit vom ersten Tag an damit beschäftigt sein werden, sich wegzubewerben, und weniger dauerhaft in Gremien arbeiten können. Nicht zuletzt ist eine mehrjährige Verbeamtung auf Zeit auch aus sozialer Perspektive abzulehnen. Denn der Beamtenstatus ist als dauerhaftes Dienstverhältnis konzipiert, weshalb man als Beamte*r nicht die Arbeitslosenversicherung einzahlt und sich (meist) privat krankenversichern muss. Personen, die nach dem Ende einer Zeitprofessur aus dem Dienst ausscheiden, fallen ohne sonstiges privates Vermögen sofort auf Hartz IV zurück und müssen entweder die jetzt für sie sehr hohen privaten Krankenversicherungsbeiträge zusätzlich aufbringen oder sehen sich mit dem ggf. mehrfachen unfreiwilligen Wechsel zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung konfrontiert.
Man kann die Hierarchie der deutschen Professuren mit all ihren Privilegien einschließlich der Verbeamtung auf Lebenszeit zu Recht kritisieren. Dann aber muss die Lösung darin bestehen, Hierarchien abzubauen und nicht die Statusgruppe der Hochschullehrer*innen in sich weiter aufzusplittern, bis niemand mehr durchblickt:
W1 auf Zeit ohne Tenure Track
W1 auf Zeit mit Tenure Track
W2 auf Zeit ohne Tenure Track
W2 auf Zeit mit Tenure Track
W2 auf Lebenszeit
W3 auf Lebenszeit
…
Diesen Effekt werden sowohl das Tenure-Track-Programm als auch der Zukunftsvertrag trotz ihrer eigentlich ganz anderen Intention in der Praxis haben. Letztlich – so lässt sich prognostizieren – werden die bisherigen Privilegien bestehen bleiben, kommen aber einer noch kleineren Zahl von Personen zugute, die auf ihre sich ebenfalls Professor*in nennenden Kolleg*innen herabblicken, weil diese es bisher nicht ganz nach oben geschafft haben. Man kann sich ausrechnen, welche Gruppen von Menschen so kaum häufiger mit Professuren gesegnet sein werden: Die mit der noch späteren Lebenszeitberufung verbundenen Ortswechsel gehen zu Lasten der Familienplanung (vorrangig also zu Lasten von Frauen) und sozial Benachteiligten ohne finanzielles Polster wird auf diese Weise der Weg zum eigenen Lehrstuhl auch nicht leichter gemacht. In der Konsequenz unterwirft man Wissenschaftler*innen noch öfter fragwürdigen Kriterien, anhand derer die Kandidat*innen ihre Exzellenz beweisen müssen und die darüber entscheiden, ob sie auf Dauer an der Universität bleiben dürfen. Vor dieser Entwicklung ist dringend zu warnen, denn sie verschärft die bestehenden Probleme statt sie zu lösen.