Auf der Tenure-Track-Professur liegen viele Hoffnungen, die Karrierephase zwischen Promotion und Lebenszeitprofessur attraktiver zu gestalten. Erfüllt sich diese Hoffnung? Welche Vor- und Nachteile sind mit den tatsächlich existierenden Tenure-Track-Professuren verbunden? Und welche Impulse können von der Einführung der Tenure-Track-Professur auf größere Strukturveränderungen ausgehen, damit sie nicht am Wissenschaftssystem angebunden ist wie ein „Mercedes-Reifen am Trabant“, wie eine Teilnehmerin es ausdrückte?
Am 29. und 30. September fand zu diesen Fragen die Tagung „Die Tenure-Track-Professur – Impulsgeberin für das deutsche Wissenschaftssystem“ statt. Initiiert und vorbereitet wurde die Tagung von den Universitäten in Jena, Freiburg, Mainz, Hannover und Frankfurt sowie dem German U15 e.V. Sie fand als Hybridveranstaltung mit Vortragenden, Podiumsgästen und einer kleinen Zahl von Expert*innen vor Ort in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie mit einem breiten Teilnehmerkreis als Online-Format statt. Einige Impulse der Tagung sollen hier skizziert werden.
Tenure-Track-Professur und frühe Selbständigkeit
Mit der Tenure-Track-Professur ist das Ziel verbunden, Wissenschaftler*innen eine frühe Selbständigkeit zu ermöglichen, damit sie nicht bis zum durchschnittlichen Erstberufungsalter von durchschnittlich knapp 42 Jahren (BuWiN 2017, S. 117) als abhängig Beschäftigte forschen und lehren. Die Tenure-Track-Professorinnen und -Professoren, die auf der Tagung in kurzen Videostatements zu Wort kamen, finden dieses Versprechen grundsätzlich eingelöst. Daneben kamen während verschiedener Vorträge und Podiumsgespräche aber immer wieder Anfragen an die Umsetzungspraxis, die nicht in jedem Fall „früh“ und nicht immer mit uneingeschränkter Selbständigkeit verbunden ist.
Als „frühe Karrierephase“ wurde der Einstieg in die R3-Phase, jedenfalls aber eine deutliche Stufe vor der Habilitation oder Habilitationsäquivalenz beschrieben. Wer bereits die Voraussetzungen für eine Berufung auf eine W2-Professur erlangt habe, könne nicht mehr als Nachwuchswissenschaftler*in in der frühen Karrierephase gelten. Dies müsse betont werden, da laut einer aktuellen Erhebung der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur (DGJ) in den letzten Jahren in 26 Ausschreibungen von 15 Universitäten für Stellen des Tenure-Track-Programms von den Bewerber*innen eine Habilitation oder äquivalente Leistungen gefordert gewesen seien.
Auch die Selbständigkeit der Tenure-Track-Professor*innen ist je nach Umfeld unterschiedlich stark möglich. Mangelnde Ausstattung, die Einbindung in das Institut eines W3-Professors bzw. einer W3-Professorin bei ansonsten nur 1-Professur-Instituten oder die Zuordnung zum akademischen Mittelbau in den Gremien der Universität können Faktoren sein, welche die Selbständigkeit beschneiden. Die Landeshochschulgesetze und universitären Strukturen schaffen hier unterschiedliche Rahmenbedingungen, auf deren Veränderung man ggf. hinwirken sollte. Als guter Kontext für Tenure-Track-Professuren wurden größere Institute mit gemeinsam genutzter Infrastruktur (Labore, Großgeräte, Stellen) benannt, die als „Departmentstruktur“ in der Diskussion um die Zukunft des deutschen Wissenschaftssystems auch sonst als Hoffnungsträger gelten.
Berufungs- und Evaluationsverfahren: Potenzialanalyse und Selektion
Berufungsverfahren für Tenure-Track-Professuren zeichnen sich dadurch aus, dass die Potenzialeinschätzung besonders relevant ist: Was die Person in Zukunft zu leisten vermag ist wichtiger als die Leistungen der Vergangenheit. Ein*e Wissenschaftler*in in der frühen Karrierephase kann ihre Kompetenz weniger am Erreichten zeigen als jemand, der oder die bereits über viele Jahre Forschungs- und Lehrleistung kumuliert hat. Gut, wenn man auf diesem für Berufungskommissionen ungewohnten Terrain auf Empfehlungen aus der Arbeits- und Organisationspsychologie hört. Work samples haben eine sehr gute Vorhersagekraft bei der Personalauswahl – das heißt Publikationen, ein wissenschaftlicher Probevortrag und eine Lehrprobe sind schon mal eine gute Basis für jedes Berufungsverfahren. Das Kommissiongespräch könnte in ein strukturiertes Interview umgewandelt werden, mit dem die Beurteilung deutlich besser gelingt als mit einem unstrukturierten Gespräch. Zudem kann so auch gezielter auf Führungskompetenzen eingegangen werden. Auch die externen Gutachten könnten leitfadengestützt und damit besser vergleichbar sein. Geschulte Kommissionsmitglieder und Beratung durch Expert*innen der Personalauswahl helfen für zielgerichtete Fragen und zur Sensibilität für den eigenen „unconscious bias“. Spannend: Alles das sind Vorschläge, die sich bei Tenue-Track-Berufungsverfahren vielleicht leichter implementieren lassen, grundsätzlich aber für alle Berufungsverfahren gelten sollten.
Wenig Erfahrungen gibt es bisher mit Evaluationsverfahren bei Tenure-Track-Professuren, vor allem mit Tenure-Evaluationen. Selbst an den Universitäten, wo es schon länger Tenure-Track-Professuren gibt, sind viele nicht bis zur Tenure-Evaluation gekommen, weil sie vorher einen Außenruf hatten und deshalb entweder gegangen sind oder ihre Tenure-Position vorzeitig verhandelt haben.
Welche Funktion hat die Zwischenevaluation: Ist sie unwichtig oder gar störend, weil nach den ersten Jahren noch keine Ergebnisse sichtbar sein können? Oder ist sie essentiell als wegweisendes Votum, um bei uneindeutiger Entwicklung einer Person einen Warnschuss zu geben und die rechtliche Grundlage für eine ggf. negative Tenure-Evaluation zu legen? Wie sollten Kriterien für die Tenure-Evaluation ausformuliert sein: Möglichst genau als abhakbare Liste, um die Handlungssicherheit von Tenure-Track-Professor*innen und Evaluationskommissionen zu maximieren? Oder mit viel Flexibilität, um den Tenure-Track-Professor*innen Freiheit für spontane Schwerpunktsetzungen und den Kommissionen Entscheidungsspielräume bei der Evaluation zu lassen? Sollten die Anforderungen so hoch sein, dass auf jeden Fall eine signifikante Anzahl von negativen Tenure-Evaluationen zu erwarten ist? Oder sollte nach guten Berufungsverfahren der Selektionsprozess eigentlich abgeschlossen sein und die Evaluationen nur noch bei unerwartet schlechten Entwicklungen aussortieren müssen? Liegt nicht darin gerade die bessere Planbarkeit des Karrierewegs begründet, dass die Auswahl nicht wie bei Habilitierten am Ende eines langen Wegs, sondern in der Frühphase einer Wissenschaftskarriere getroffen wird?
Vielfalt der Karriereziele
Die Tenure-Track-Professur ist ein Instrument zur Verbesserung der Karrierewege im Wissenschaftssystem. Für eine gute Zukunft des Wissenschaftssystems muss man aber größer denken und zusätzlich an den Karrierezielen arbeiten. Darauf wiesen Vertreter*innen von Hochschulen, von anderen Wissenschaftseinrichtungen und von wissenschaftlichen Fach- und Berufsverbänden immer wieder hin. Der Finger wurde auf zwei wunde Punkte gelegt: zum einen die verbreitete Fokussierung auf Karrieren innerhalb der Wissenschaft und zum anderen die Verengung dieser Karriereperspektiven auf das Ziel der Professur. Wenn schon das Verlassen des Wissenschaftssystems während der Postdoc-Phase vielfach als Scheitern stigmatisiert ist, wie soll dann jemand würdevoll eine negative Tenure-Evaluation überstehen und seine Stärken in anderen Berufsfeldern einbringen, ohne einen Makel zurückzubehalten?
Insbesondere wurden aber bessere Karriereoptionen im Mittelbau der Universitäten gefordert. Neben der Professur müssen andere dauerhafte Positionen für Forschung und Lehre bestehen, auf die eine wissenschaftliche Laufbahn abzielen kann. Stellen als „senior lecturer“ und „senior researcher“ können als Vorbild dienen, und auch diese Stellen können mit einem befristeten Einstieg mit transparentem Tenure Track versehen werden. Wissenschaftliche Dauerstellen neben der Professur dürfen keine Notlösung und kein Abstellgleis bilden, sondern müssten zur echten Karriereoption erhoben werden – mit offenen Ausschreibungen und transparenten Auswahlverfahren sowie eigenständiger Anbindung im Department. Dass Dauerstellen im Mittelbau vermehrt und strukturell aufgewertet werden müssen, darin bestand eine erstaunliche Einigkeit zwischen dem Netzwerk für gute Wissenschaft, dem Wissenschaftsrat und den Hochschul- und Fachvertreter*innen. Forschung als Beruf kann sich nicht allein auf Professuren konzentrieren – oder mit den Worten eines Universitätspräsidenten: „Der Professorentitel ist nicht die Einstiegspforte zur guten Wissenschaft.“ Wenn sich diese Erkenntnis durchsetzt und wenn auch jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als gleichwertig akzeptiert werden, dann kann die Tenure-Track-Professur ihre Innovationskraft entfalten und bleibt kein Fremdkörper in einem verkrusteten System – oder anders gesagt: Sie wäre kein „Mercedes-Reifen am Trabant“, sondern würde dazu beitragen, dass das ganze System neuen Schwung bekommt.
René Krempkow
März 30, 2021Ein sehr schöner, informativer Tagungsbericht – und die Einschätzung „Mercedes-Reifen am Trabant“ finde ich sehr treffend! 🙂